Leiharbeit – Abweichung vom “equal pay”-Grundsatz durch Tarifvertrag möglich (BAG v. 31.05.2023 – Az. 5 AZR 143/19)

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Leiharbeit – Abweichung vom “equal pay”-Grundsatz durch Tarifvertrag möglich (BAG v. 31.05.2023 – Az. 5 AZR 143/19)

Im Rahmen seiner Entscheidung vom 31.05.2023 hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr entschieden, dass von dem Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer für die Dauer der Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers haben, sog. “equal pay”-Grundsatz, nach § 8 Abs. 2 AÜG nach unten abgewichen werden kann, mit der Folge, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen muss.

Vorliegend hatte eine Leiharbeitnehmerin ihren Arbeitgeber im Hinblick auf den “equal pay”-Grundsatz auf Zahlung der Differenzvergütung verklagt, da mit ihr vergleichbare Stammarbeitnehmer  mehr Stundenlohn erhalten haben und sie der Ansicht war, dass das auf ihr Leiharbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung findende Tarifwerk von iGZ und ver.di mit Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL und der dort verlangten Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer nicht vereinbar sei. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, das Tarifwerk von iGZ und ver.di verstoße nicht gegen Unionsrecht, außerdem hat sie die Höhe der von der Klägerin behaupteten Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer des Entleihers mit Nichtwissen bestritten. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision der Klägerin nunmehr zurückgewiesen.

In der Pressmitteilung des Bundesarbeitsgerichts heißt es:

“Die Klägerin hat keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt, also auf ein Arbeitsentgelt, wie es vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers erhalten. Aufgrund des wegen der beiderseitigen Tarifgebundenheit auf das Leiharbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifwerks von iGZ und ver.di war die Beklagte nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG und § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF nur verpflichtet, die tarifliche Vergütung zu zahlen. Dieses Tarifwerk genügt, jedenfalls im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmer, den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL. Trifft der Sachvortrag der Klägerin zur Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer zu, hat die Klägerin zwar einen Nachteil erlitten, weil sie eine geringere Vergütung erhalten hat, als sie erhalten hätte, wenn sie unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz von dem entleihenden Unternehmen eingestellt worden wäre. Eine solche Schlechterstellung lässt aber Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL ausdrücklich zu, sofern dies unter „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ erfolgt. Dazu müssen nach der Vorgabe des EuGH Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Ein möglicher Ausgleichsvorteil kann nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl bei unbefristeten als auch befristeten Leiharbeitsverhältnissen die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein. Anders als in einigen anderen europäischen Ländern sind verleihfreie Zeiten nach deutschem Recht auch bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen stets möglich, etwa wenn – wie im Streitfall – der Leiharbeitnehmer nicht ausschließlich für einen bestimmten Einsatz eingestellt wird oder der Entleiher sich vertraglich ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Leiharbeitnehmer vorbehält. Das Tarifwerk von iGZ und ver.di gewährleistet die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten. Außerdem hat der deutsche Gesetzgeber mit § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG*** für den Bereich der Leiharbeit zwingend sichergestellt, dass Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, weil der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1 BGB, der an sich abdingbar ist, im Leiharbeitsverhältnis nicht abbedungen werden kann. Auch hat der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass die tarifliche Vergütung von Leiharbeitnehmern staatlich festgesetzte Lohnuntergrenzen und den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten darf. Zudem ist seit dem 1. April 2017 die Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG zeitlich grundsätzlich auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses begrenzt.” (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Mai 2023 – 5 AZR 143/19)